Interview mit Dr. Helena Orfanos-Boeckel,Internistin & Nephrologin, Berlin

Belle&Yell: Frau Dr. Orfanos-Boeckel, wie kamen Sie zu Ihrem Schwerpunkt Nährstoffe und Hormone?

Dr. Orfanos-Boeckel: Mein medizinischer Weg begann in der Uni-Klinik hier in Berlin, wo ich in einer sehr großen internistisch-nephrologischen Abteilung, meinen Facharzt und die Zusatzbezeichnung Nephrologie absolviert habe. Besonders in der Nieren-Transplantationsambulanz war es wichtig, den Stoffwechsel der Nierentransplantierten im Blut über eine eingehende Labordiagnostik genau zu beobachten und mit Medikamenten nierenschützend einzustellen. Dort habe ich gelernt, Blutwerte zu analysieren und diese gezielt mit Medikamenten, aber auch Nährstoffen und Hormonen so zu optimieren, dass die Nierenfunktion des Transplantates möglichst lange erhalten blieb.

Schlüssel Prävention

Diese Herangehensweise habe ich später in meiner eigenen Praxis weiterentwickelt, um auch bei relativ gesunden Menschen, also ohne eine schwere chronische Erkrankung, frühzeitig altersbedingte Stoffwechselprozesse positiv zu beeinflussen. Eine frühe Labordiagnostik und eine individuell gezielte Steuerung des Stoffwechsels beugt Krankheiten vor und verbessert das Wohlbefinden.

Besonders spannend fand ich, dass viele der metabolischen Probleme, die später zu ernsthaften Erkrankungen führten, sich bereits sehr früh in den Blutwerten abgezeichnet haben

Dr. Helena Orfanos-Boeckel

Dr. med. Helena Orfanos-Boeckel ist ganzheitlich praktizierende Ärztin für Innere Medizin und Expertin auf dem Gebiet der Nährstoffe und körpereigenen Hormone. Sie studierte Humanmedizin in Brüssel und Berlin und absolvierte die Facharztausbildung zur Internistin mit Schwerpunkt »Nephrologie« (Nierenheilkunde) an der Freien Universität Berlin, heute Charité Berlin. Hier verbrachte sie insgesamt 10 intensive und lehrreiche Klinikjahre in unterschiedlichen internistischen Fachabteilungen, der Intensivstation und der Nieren-Transplantationsambulanz.

Seit 2002 arbeitet Helena Orfanos-Boeckel, Ärztin in dritter Generation, in ihrer eigenen Praxis für ganzheitliche Innere Medizin, Stoffwechsel- und Präventivmedizin in Berlin-Charlottenburg.

Praxis Helena Orfanos-Boeckel

Zahlreiche Erkrankungen bereits viele Jahre vorher erkennbar

Beispielsweise kann morgens nüchtern ein leicht erhöhter Insulinspiegel ein Hinweis auf eine beginnende Insulinresistenz sein, lange bevor sich ein Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt. Auch der HbA1c-Wert, der sogenannte Langzeitzuckerwert braucht meist 10-20 Jahre, um so hoch zu sein, dass man die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 überhaupt erst vergeben kann. Genauso ist es auch mit dem Knochenstoffwechsel. Die Knochen-Abbauwerte sind im Blut schon 10 Jahre vor der Diagnose Osteoporose (in der Knochendichtemessung) erhöht. Auch wichtig zu wissen: wenn die Nierenwerte nur leicht erhöht sind, arbeiten schon eine und eine halbe Niere nicht mehr. Diese Erkenntnis hat meine Sicht auf die Innere Medizin verändert: Ich wollte nicht mehr nur schwere Folgen von chronischen Krankheiten behandeln, sondern ich wollte frühzeitig regulierend eingreifen, um auch im Alter für eine gute Lebensqualität zu sorgen. Da kann eine gezielte individuelle Nährstoff- und Hormontherapie nach Labor sehr gut helfen.

Präventive Nährstofftherapie

Belle&Yell: Nicht hilfreich ist in dem Zusammenhang, dass Nährstoffergänzung in unserem Land nicht von Krankenkassen bezahlt wird. Sprich, man muss dafür auch in den Geldbeutel greifen, was ja immer noch für viele heißt – na, dann kann es nichts helfen…

Dr. Orfanos-Boeckel: Ja, das wird so immer wieder in den Medien dargestellt und ich verstehe auch, warum viele so denken, denn das, was ich auch in meinen Büchern beschrieben habe ist neu. Ich nutze Nährstoffe medizinisch nach Labor, das macht kaum jemand, schon gar nicht präventiv. Unser Gesundheitssystem ist vor allem darauf ausgelegt, akute Krankheiten und lebensbedrohliche Folgen von chronischen Krankheiten zu behandeln, nicht aber darauf, sie zu verhindern. Das bedeutet, dass unser System kurativ bei Not super gut reagiert aber ohne Not passiert nur wenig. Es werden zwar im Rahmen der Vorsorge einige wenige präventive Maßnahmen vor allem zum Ausschluss von Krebserkrankungen von den Kassen übernommen, aber die präventive Gabe von Nährstoffen und auch Hormonen nach Labor existiert im System nicht. Dabei gibt es durchaus Beispiele, wo Nährstoffe in den Leitlinien verankert sind, wie Folsäure für Schwangere oder Eisen und Erythropoietin, das körpereigene Hormon der Nieren, für Dialysepatienten.

Die Krankenkasse zahlt nicht

Doch für die Allgemeinbevölkerung gibt es keine Abdeckung für eine präventive Nährstofftherapie. Viele Menschen denken dann: „Wenn ich es selbst zahlen muss, kann es nicht wichtig oder wirksam sein.“ Das ist jedoch ein Trugschluss. Wir zahlen ja auch für gesunde Nahrung, Sport und für Entspannungstechniken selbst – alles Faktoren, die unsere Gesundheit maßgeblich günstig beeinflussen. Der spezifische Schutz der biochemischen Gesundheit ist einfach noch nicht gut genug erforscht. Es gibt im System keine Leitlinien zu dieser Thematik. Aber nur, weil etwas nicht in den Leitlinien ist und deswegen auch nicht von der Kasse übernommen wird, heißt das nicht, dass es nicht wirkt. Es bedeutet lediglich, dass unser System dies – aus vor allem wirtschaftlichen Gründen – nicht übernimmt.

Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert, und dass die Nährstoff- und die Hormonmedizin, analog zur Sport- und Ernährungsmedizin eines Tages einen Platz in der universitären Medizin haben wird, denn damit ließen sich u.a. viele schwere Folgen von vor allem altersbedingten Erkrankungen vermeiden. 

Nährstoffmangel

Belle&Yell: Viele Menschen sagen: „Ich ernähre mich gesund, ich brauche keine zusätzlichen Nährstoffe.“ Was entgegnen Sie?

Dr. Orfanos-Boeckel: Diese Annahme ist weit verbreitet, aber das ist falsch. In der Praxis sehe ich oft, dass selbst Menschen mit einer bewussten und gesunden Ernährung relevante Defizite haben, wo ein Plus an Nährstoffen helfen kann, die Stoffwechselfunktion zu verbessern. Es gibt viele Prozesse im Körper, die optimaler ablaufen könnten, wenn die Nährstoffversorgung der Zellen besser wäre.

Ein gutes Beispiel ist Magnesium: Viele Menschen nehmen zu wenig davon auf oder verbrauchen davon zu viel. Besonders Menschen mit hohem Stresslevel, oder die viel Sport machen, haben einen hohen Magnesium-Bedarf. Ein weiteres Beispiel ist Eisen, das insbesondere bei Frauen durch den Verlust bei der Menstruationsblutung oft in viel zu geringen Mengen vorhanden ist. Auch Vitamin B12 oder die Omega-3-Fette DHA und EPA liegen oft bei Vegetariern und Veganern, aber auch bei Fleischessern, im Mangelbereich.

Ein mit Nährstoffen optimal versorgter Körper funktioniert einfach besser: Immunabwehr, oder auch Immuntoleranz, Kraft, Fitness, Verdauung, Haarwachstum, Fruchtbarkeit, Konzentration, Energielevel und sogar psychische Stabilität hängen stark mit der Qualität der Nährstoffversorgung zusammen.

Alles normal oder was?

Belle&Yell: Was verstehen Sie unter Nährstoff-Denkfehlern?

Dr. Orfanos-Boeckel: Ein Denkfehler ist, dass viele nur darauf schauen, ob bei einem Nährstoff der Laborwert auch innerhalb der Referenz liegt. Doch dieses „normal in der Referenz“ heißt nicht automatisch „optimal“. Der Labor-Referenzwert spiegelt bei vielen Nährstoffen nur die Durchschnittsversorgung der Bevölkerung wider, nicht das, was ideal für die Gesundheit ist.

Ein weiteres Missverständnis betrifft die empfohlene Nährstoff-Tagesdosis. Viele Einnahme-Richtwerte (bspw. der DGE) beziehen sich auf die Menge eines Nährstoffs, die benötigt wird, um Mangelerkrankungen zu vermeiden – nicht darauf, wie viel optimal für eine bestmögliche Funktion des Körpers wäre. Das ist so, als würde man fragen, wie viel Geld man mindestens braucht, um nicht zu verhungern, anstatt zu fragen, wie viel Geld regelmäßig für ein gutes Leben notwendig ist.

Hormone brauchen Nährstoffe

Belle&Yell: Sie sprechen von einer sinnvollen Kombination aus Nährstoffen und Hormonen. Wie arbeiten diese zusammen?

Dr. Orfanos-Boeckel: Hormone sind Zell-Regulatoren und steuern, wohin sich ein Stoffwechselprozess entwickelt. Nährstoffe sind hingegen die Bausteine für die Energie, die dieser zelluläre Prozess benötigt.

Ein Beispiel ist die Blutbildung: Eisen, B12 und Folsäure sind essenzielle Nährstoffe Synthese der roten Blutkörperchen, doch ohne das Hormon Erythropoietin würde der Körper nicht ausreichend rote Blutkörperchen bilden können. Genauso beeinflusst Vitamin D in Kombination mit Hormonen wie Parathormon den Kalziumstoffwechsel und damit die Knochengesundheit.

Ein weiteres Beispiel ist die Schilddrüse: Ihre Funktion hängt maßgeblich von der Verfügbarkeit von Jod, Selen und Eisen ab.

Fehlt einer dieser Nährstoffe, kann die Schilddrüse ihre Hormone nicht in ausreichender Menge produzieren und aktivieren, was langfristig zu Beschwerden wie Müdigkeit, Gewichtszunahme, Fehlgeburten und depressiven Verstimmungen führen kann.

Messen, verstehen, messen

Belle&Yell: Was können wir also tun, wenn wir unsere Stoffwechsel-Gesundheit aktiv unterstützen wollen?

Dr. Orfanos-Boeckel: Messen, denn der erste Schritt ist Wissen. Ich habe meine Bücher genau aus diesem Grund geschrieben, damit Menschen ihre Laborwerte besser verstehen lernen und damit dann informierte Entscheidungen treffen können. Wer beim Arzt im Rahmen der Beschwerde-Symptomatik, gezielt nach bestimmten Nährstoffen fragt, erhöht die Chance, dass diese auch überprüft werden.

Es gibt auch die Möglichkeit, Blutwerte selbst in den Laboren analysieren zu lassen. Darüber, welche Labore das anbieten, kann man sich sehr gut online informieren. Mit meinen Büchern, vor allem dem Praxisleitfaden kann sehr viel der Nährstofftherapie allein machen, wenn man relativ gesund ist und sich regelmäßig messen lässt.

Wenn es aber ernste medizinische Probleme gibt, oder man sehr viel Sorgen und Ängste hat, was falsch zu machen, muss man sich kompetente Hilfe holen. Hier können Praxis für Orthomolekulare Medizin, oder auch Funktionelle Medizin weiterhelfen. Erfahrene Kolleginnen und Kollegen können natürlich viel besser den Gesamtzusammenhang des Stoffwechsels überblicken, aber solche eigenen Untersuchungen können ein erster Schritt sein, um zu erkennen, ob es Defizite gibt und wo man sich ggf. ärztlich Hilfe holen kann.

Man kann lernen, seine eigenen Blutwerte zu verstehen. In meinem blauen Buch gebe ich detaillierte Hinweise dazu, welche Werte in welchem Bereich optimal sind und mit welcher Nährstoffdosis man dahin gelangt.

Viele meiner Patienten berichten, dass sie durch das Verständnis ihrer eigenen Laborwerte eine ganz neue Selbstverantwortung für ihre Gesundheit entwickeln. Das ist mein Ziel: Menschen sollen befähigt werden, ihre Gesundheit aktiv und präventiv zu gestalten, anstatt nur zu reagieren, wenn bereits Beschwerden auftreten.

Dr. med Helena Orfanos-Boeckel

Seit 2002 arbeitet Helena Orfanos-Boeckel, Ärztin in dritter Generation, in ihrer eigenen Praxis für ganzheitliche Innere Medizin, Stoffwechsel- und Präventivmedizin in Berlin-Charlottenburg. In ihrer Praxis ging sie von Anfang an neue Wege, die klassische internistische Medizin mit den neuen Erkenntnissen u. a. der hormonellen, orthomolekularen und mitochondrialen Medizin zu verbinden.

Helena Orfanos-Boeckel ist Pionierin einer neuen Medizin – der Nährstoff- und Hormonmedizin. Bei dieser werden Nährstoffe und körpereigene Hormone anhand einer umfassenden, individuellen Labordiagnostik kurativ und präventiv eingesetzt.