Eine Mutter verabschiedet sich aus der Dauerpflicht
„Für mich wirkt es so, als habe eine Mutter die ganze Zeit Pflichten, die ausschließlich darin bestehen, selbstlos zu sein und anderen zu helfen, das zu erreichen, was sie im Leben haben wollen. Das ist die gesellschaftliche Aufgabe von Frauen ab dem Zeitpunkt, ab dem sie Mutter sind.“– Caroline Peters, Schauspielerin
Dieses Zitat, das die Runde in der der deutschen Medienlandschaft machte, schlug bei mir ein wie eine Bombe. Zunächst war ich richtig wütend, dann habe ich genauer nachgedacht und mich gefragt, warum mich das so in Rage brachte?! Um leider festzustellen – frau weiß ja, da wo Wut ist, ist auch Schmerz – dass ich mich getroffen gefühlt habe bzw. mich genau das in meinen Jahren als alleinerziehende, selbständige und immer zuständige Mutter zweier Kinder plus Bonus-Sohn am allermeisten belastet hat:
Immer für alle da sein, immer die Karrieren aller Familienmitglieder unterstützen, immer zuletzt drankommen – und am Ende fehlte immer die Kraft für alle diese wichtigen Dinge bei mir selbst. Das sind jetzt keine Breaking News im Mutter-Wonderland, ich weiß. Es ist aber hoch interessant, dass das obige Zitat aus dem Mund einer kinderlosen Frau kommt und wie sie die gesellschaftliche Erwartung an die Mutterrolle wahrnimmt und treffend formuliert. Offensichtlich auch abgeschreckt vom öffentlichen Rollenverständnis und deren Interpretation.

Meine Mutterrolle:
„Nimm‘ dir das große Stück; ich habe mal deine Sportsachen durchgewaschen; ich näh‘ dir das schnell; ich bleib zu Hause, geht ihr nur; ich sauge schnell noch mal das Haus durch, bevor die Gäste kommen – ach, lasst doch die Schuhe an, das macht gar nichts; ich habe den Bürgersteig gefegt, das stört die Nachbarn; ich habe dir noch ein paar extra Brote für den Ausflug gemacht, wenn deine Freunde auch eins wollen… “.
So kenne ich das aus meinem Elternhaus und von meiner Mutter. Ich habe eine zugewandte Mama, die zu Hause war und sich den ganzen Tag um mich und meine beiden älteren Geschwister gekümmert hat. Und – Ich bin genauso geworden, obwohl ich das gar nicht wollte und mir auch eingebildet habe, ich sei ganz anders.
Bis Freunde immer häufiger sagten: „Du musst auch mal an dich denken, jetzt fahre weg und gib die Kinder zu den Großeltern, können sie nicht langsam mal selber Bus fahren, gibt es im Fußballverein keinen Mannschaftsbus, musst du jetzt wirklich Hackfleischklösschen für den Tag der offenen Tür machen, kann nicht der Vater mal zum Elternabend, warum schreibst du jetzt auch noch den Schul-Aufsatz,…“. Der gewaltige Unterschied zu meiner Mutter war, dass ich das OHNE Mann und MIT Job gemacht habe. Also alleine und berufstätig.
Das Ergebnis:
Meine Kinder sind mir heute dankbar und verlassen sich auf mich. Mein Ex-Mann hält das für selbstverständlich – und verlässt sich auf mich. Der Staat gibt mir als Selbständige nichts extra – und verlässt sich auf mich. Ich bin diejenige, die am meisten Kraft und finanzielle Ressourcen eingebüßt hat. Ist das die zwingende Konsequenz des Mutterseins? Heute sage ich: Nein.


Meine Bilanz:
Ich hätte viel früher Aufgaben an meine Kinder delegieren und statt Perfektion öfter mal 80 Prozent akzeptieren sollen. Ich hätte den Vater zu mehr aktiver Erziehung einbinden und mein Recht auf die Wiederaufnahme meiner Karriere durchsetzen müssen. Ich hätte früher und konsequenter Auszeiten für mich etablieren müssen, um mich zu erholen. Die Möglichkeiten waren da – ich habe sie zu wenig genutzt.
Im Endeffekt bedeutet das wohl darauf zu verzichten, als Mutter heiliggesprochen zu werden. Die deutsche Comedienne Carolin Kebekus, die unlängst zum ersten Mal Mutter geworden war, sagte in einem Interview entsetzt:
„Alles, was man als Mutter macht, wird bewertet (…) Ich merke immer mehr, was andere Frauen ausgehalten haben, ohne darüber zu reden.“
Diese ständigen Bewertungen von außen gepaart mit einer fragwürdigen Selbstlosigkeit, die Peters als gesellschaftliche Erwartung beschreibt, sollten wir wirklich hinterfragen und uns davon frei machen. Es ist eine von unserer Müttergeneration übernommene Rollenauslegung, die schon daher nicht mehr passt, weil viel mehr Frauen allein erziehen und arbeiten. Weil aber auch immer mehr Männer bereit sind, sich die Aufgaben zu teilen und nicht der Mutter zu überlassen. Und weil heute eine Familie nicht mehr wie noch in den 70er und 80er Jahren mit EINEM Einkommen ein Haus bauen und finanziell stabil leben kann. Die Zeiten haben sich geändert, auch für Mütter.
Liebe ist das Stichwort – davon sollten alle Kinder so viel wie möglich bekommen. Liebe ist gratis, kostet keine Energie und hält sie gesund. Viele andere Dinge, die ich meinen Kindern und geschiedenem Mann abgenommen habe, weil ich eine gute Mutter sein wollte, haben mir mehr geschadet als ihnen geholfen.
Im meinem nächsten Leben als Meerschweinchen, Innenarchitektin oder CEO mit Kindern werde ich das anders machen. Versprochen.


Dagmar Thiam
Dagmar ist Mitgründerin und CMO von Belle&Yell. Die erfahrene TV- und Bühnenmoderatorin mit mehr als 25 Jahren internationaler Expertise war auch lange Jahre als Sportjournalistin tätig. Sie ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Unternehmerin mit einem Diplom in Betriebswirtschaft und internationalem Marketing. Neben ihren Tätigkeiten in Medien und Wirtschaft ist Dagmar auch ausgebildeter Einzel- und Teamcoach und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Ihr breitgefächertes Fachwissen macht sie zu einer anerkannten Expertin für persönliches und berufliches Empowerment. Die zweifache Mutter liebt Sport (ehemalige Beachvolleyballerin), Groß-Familie, lebhafte Tischgespräche und Baumärkte.