Warum immer mehr Frauen ihre Ziele visualisieren, um sie zu erreichen
Der Begriff klingt nach Glitzerjournal und Neumondritual. Doch „Manifestation“ ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – als psychologisches Tool, als wirtschaftlicher Trend, als Ausdruck weiblicher Selbstermächtigung. Auf Instagram häufen sich Vision Boards, in Podcasts wird „Embodiment“ besprochen, in Start-ups wird Klarheit über Ziele als Wettbewerbsvorteil verkauft.
Was steckt dahinter? Kann man sich ein Leben tatsächlich „herbeimanifestieren“ – oder ist das die neoliberale Fortsetzung des „Du musst nur wollen“-Narrativs?
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Wissenschaftlich betrachtet ist Manifestation ein Set aus Visualisierungstechniken. Die Annahme: Wer seine Ziele regelmäßig vor Augen führt – möglichst konkret, emotional aufgeladen, schriftlich oder bildlich festgehalten –, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Ziele verwirklichen. Nicht durch Magie. Sondern durch kognitive Fokussierung.
Dass unser Gehirn selektiv arbeitet und Relevantes bevorzugt verarbeitet, ist in der Neurowissenschaft gut belegt. Aufmerksamkeit folgt dem Fokus – und dieser wiederum unseren Zielen und inneren Bildern. Wer ein Ziel stark emotionalisiert, aktiviert genau jene neuronalen Netze, die mit Handlung, Motivation und Entscheidung zu tun haben.
Oder wie es im Sprachgebrauch der Szene heißt: Energy flows where attention goes.


Selbstoptimierung oder Selbstbestimmung?
Doch die Kritik am Konzept kommt prompt – vor allem dann, wenn Manifestation mit toxischer Positivität vermischt wird: Du bist nicht reich, gesund oder erfüllt? Dann hast du eben nicht „richtig“ manifestiert. Ein gefährlicher Trugschluss. Denn er individualisiert strukturelle Probleme – und verkennt gesellschaftliche Realitäten.
Dabei zeigt sich gerade bei Frauen ein anderer Zugang: Manifestation als Akt der Klarheit. Als Gegenentwurf zu einem Alltag, in dem sie oft funktionieren statt gestalten. Alisa und Virginia, zwei Gründerinnen aus Nordrhein-Westfalen, haben daraus ein Produkt gemacht. Ihr „Vision Board“ verkauft sich inzwischen tausendfach. Die Idee: Ein strukturiertes System aus Lebensbereichen, Zielkarten und Reflexionstools – als Brücke zwischen Wunsch und Umsetzung.
Der Wille zur Zukunft
„Wir wollten ein Tool, das Frauen hilft, überhaupt erst herauszufinden, was sie wollen“, sagt Alisa im Gespräch mit Belle&Yell. Ein Gespräch, das weniger nach Coaching-Getöse klingt, sondern nach pragmatischer Reibung. Alisa hat Wirtschaftspsychologie studiert, führt ein Café, zwei Kinder, ein Start-up. Ihre Mitgründerin Virginia ist aus Bulgarien nach Deutschland gekommen, mit Baby und ohne Netzwerk. Das erste gemeinsame Produkt: ein strukturiertes Vision Board – aus einer Sinnkrise geboren.
Was sie antreibt, ist nicht der Wunsch nach Kontrolle, sondern nach Gestaltung. „Manifestation funktioniert nur, wenn du bereit bist, auch unbequeme Fragen zu stellen“, sagt Alisa. Etwa: Wofür investiere ich meine Energie? Und: Was wäre, wenn ich nicht scheitern könnte?


Manifestation – 5 Fakten
- Definition: Manifestation beschreibt die gezielte Visualisierung von Zielen, um deren Erreichung wahrscheinlicher zu machen.
- Wissenschaftlicher Kern: Aktivierung kognitiver Netzwerke durch emotionale Fokussierung.
- Erfolgsvoraussetzung: Konkretheit + Wiederholung + Handlung.
- Kritik: Gefahr der Selbstüberforderung und gesellschaftlichen Entpolitisierung.
- Potenzial: Als Tool für Klarheit, Motivation und Selbstverantwortung – besonders für Frauen.
Manifestation ist der Moodboard-Marathon der Moderne
Das Micalé Vision Board sieht ein bisschen aus wie ein Lifestyle-Buch. Und funktioniert wie ein Ziel-Kompass. In sechs Lebensbereichen kannst du deine Wünsche festhalten – auf Karten, die du rausziehen, tauschen, wegwerfen kannst. Alles bleibt in Bewegung. So wie du.
Was daran besser ist als ein Pinterest-Board? Es hat Struktur. Und es ist nicht digital. „Das Haptische macht den Unterschied“, sagt Alisa. „Du kannst’s nicht einfach wegwischen.“
Die Wissenschaft dahinter
Psychologen wie Gabriele Oettingen haben das Konzept untersucht. Ihre Theorie: „Mental Contrasting“ – also das Gegenüberstellen von Wunsch und realen Hindernissen – sei weitaus wirksamer als reines positives Denken. Wer manifestiert, sollte nicht nur vom Ziel träumen, sondern auch klar benennen, was im Weg steht.
Trotzdem: Die visuelle und sprachliche Darstellung von Zielen kann Effekte haben – auf Motivation, Wahrnehmung und Verhalten. In einer Studie der Dominican University of California gaben 76 % der Teilnehmenden an, ihre Ziele eher erreicht zu haben, wenn sie sie zuvor schriftlich festgehalten hatten.

Zwischen Tool und Trend
Ob als DIN-A4-Kladde, Instagram-Pinwand oder Notiz im Smartphone – Manifestation ist heute vor allem eines: ein Spiegel gesellschaftlicher Bedürfnisse. Nach Halt in einer überfordernden Welt. Nach Sinn in einer Arbeitswelt, die oft keine Orientierung mehr gibt. Und nach der Idee, das eigene Leben doch ein wenig in der Hand zu haben.
Vielleicht ist Manifestieren die rebellischste Art von Lebensplanung, die wir heute haben. Kein 10-Jahres-Plan. Kein Hustle-Hack. Sondern die Erinnerung daran, dass du nicht alles aushalten musst – sondern auch gestalten darfst.


Manuela Reibold-Rolinger
Manuela ist eine renommierte Fachanwältin für Baurecht mit über 30 Jahren Berufserfahrung. Sie ist Mitgründerin von Belle&Yell und eine gefragte Keynote-Speakerin, Autorin und TV-Moderatorin, u.a. im ZDF, ARD, RTL und VOX. Als Unternehmerin hat sie ihre eigene Anwaltskanzlei, Online-Programme und Podcasts ins Leben gerufen und gibt ihr Fachwissen weithin weiter. Ihre ehrenamtliche Arbeit konzentriert sich auf die Kriminalitätsprävention und die Unterstützung von Frauen in Unternehmensnetzwerken. Sie ist eine leidenschaftliche Sportlerin, die seit Jahren ihre Freizeit dem Kitesurfen, Skifahren, Kaltwasserschwimmen und der Erforschung von Longevity widmet. Als Mutter zweier erwachsener Kinder und frischgebackene Großmutter geht sie das Leben mit Energie und Neugier an und findet immer wieder die Balance zwischen beruflichem Erfolg und persönlicher Erfüllung.