Wenn Nina Gigele auf den Gletscher tritt, dann tut sie das mit der Ruhe einer, die schon gefallen ist. Und wieder aufgestanden. Die Tirolerin, einst Skitalent mit Weltcup-Ambitionen, heute Unternehmerin, Podcasterin und Ski-Bergführerin, weiß, wie nah Triumph und Trauma beieinanderliegen können. „Ich konnte nach meiner Verletzung nicht einmal mehr zur Gondel fahren“, erzählt sie. „Ich hatte Angst. Richtige Angst.“
Es war der Moment, in dem sie verstand, dass Stärke kein Gen, sondern ein Mindset ist.
Vom Sturz ins Leben
Die Verletzung, die ihre Karriere beendete, war schwer. Mehrere Operationen, Monate auf Krücken, ein Körper, der nicht mehr mitspielte. „Ich hatte mein Ziel verloren – und mit ihm auch ein Stück Identität.“ Statt aufzugeben, begann Nina, sich Schritt für Schritt zurückzuarbeiten. Heute leitet sie Frauen durch alpines Gelände, hält Keynotes über mentale Stärke und betreibt den Podcast Skiers Mindset Talk, in dem sie mit Profisportler:innen über Angst, Leistung und Resilienz spricht.
„Die Angst bleibt“, sagt sie, „aber sie darf nicht führen.“
Was als Selbsttherapie begann, wurde zur Mission. Nina will zeigen, dass mentale Widerstandskraft nicht angeboren ist, sondern trainiert werden kann – wie eine neue Technik auf der Piste.
Female Leadership im Schnee
Wer Gigele zuhört, merkt schnell, dass sie über Skifahren spricht – und über weit mehr. Über Führung, Teamdynamik, Vertrauen. „Viele Frauen unterschätzen sich“, sagt sie. „Im Gelände, aber auch im Beruf. Sie haben weniger Angst vor dem Risiko als davor, aufzufallen.“
In ihren Camps führt sie Frauen über Schneefelder, in Workshops über mentale Hürden. Ihr Credo: Female Leadership beginnt da, wo man Verantwortung übernimmt – auch, wenn die Sicht schlecht ist.
Psycholog:innen bestätigen: Bewegung in der Natur kann messbar das Selbstvertrauen stärken. Eine Studie der Universität Stanford (2020) zeigte, dass Outdoor-Aktivitäten das Gefühl der Selbstwirksamkeit signifikant erhöhen – besonders bei Frauen, die zuvor sportlich inaktive Lebensphasen hatten. Für Nina ist das keine Theorie, sondern Praxis. „Ich habe Frauen erlebt, die am ersten Tag kaum den Lift runterkamen und am dritten Tag durch Tiefschnee gefahren sind. Danach ändert sich auch etwas im Kopf.“
Japan, Norwegen, Spitzbergen: Expedition zur Selbstwirksamkeit
Ihre Touren lesen sich wie ein Atlas der Extreme. Japan, Spitzbergen, Chile. Bei einem Segeltrip in Norwegen fiel eine Teilnehmerin fast in eine Gletscherspalte. „Ich hatte sie im Seil. Das sind Sekunden, die dir das Herz aussetzen lassen.“
Sie spricht darüber ohne Pathos, eher mit Respekt. „Man lernt, wie zerbrechlich Kontrolle ist.“
Was sie antreibt, ist weniger der Nervenkitzel als die Erkenntnis: „Wir leben in einer Gesellschaft, die Risiko pathologisiert. Dabei entsteht Wachstum nur, wenn man an Grenzen geht.“
Mode trifft Mindset
Nina ist eine ungewöhnliche Mischung: Outdoor-Profi mit Sinn für Ästhetik, Fashionista mit Expeditionshintergrund. „Ich habe wahrscheinlich mehr Skihosen als Abendkleider“, sagt sie lachend. Doch auch Mode kann funktional sein. Mit ihrem neuen Startup entwickelt sie smarte Textilien, die die Blutzirkulation anregen und Regeneration fördern sollen – ein Konzept, das auf japanischer Materialforschung basiert.
Tatsächlich gilt „Functional Fashion“ als wachsender Markt: Laut McKinsey State of Fashion Report 2024 wächst das Segment um fast 8 Prozent jährlich – vor allem durch Frauen, die Performance und Stil nicht länger trennen wollen.
Harvard statt Heliskiing
Stillstand liegt ihr nicht. Deshalb hat Nina auch ein Executive-MBA-Programm an der Harvard Business School gestartet. „Ich habe gelernt, dass man nicht überall dabei sein kann – aber dort, wo man ist, sollte man präsent sein.“ Sie will ihr Wissen über Leadership und Female Empowerment systematisieren – und gleichzeitig ihr Label international aufbauen.
Die Lehre aus dem Schnee
Nina Gigele spricht leise, aber bestimmt. Vielleicht, weil sie weiß, wie laut die Berge sein können, wenn man in ihnen verloren geht. Ihr Weg ist kein Lehrbuch über Erfolg, sondern ein Beispiel für das, was Resilienz bedeutet: fallen, aufstehen, weitermachen.
„Mut ist kein Gefühl. Mut ist eine Entscheidung.“
Was auf der Piste gilt, gilt auch im Leben.
Über Nina Gigele
Nina, geboren 1991 in Tirol, war Skirennläuferin, ehe sie nach einer schweren Verletzung ihre Karriere beenden musste. Heute arbeitet sie als Unternehmerin, Skiguide und Podcasterin. Ihr Unternehmen boutiq.vision entwickelt Konzepte für Sport, Tourismus und Textilinnovation. Ihr Podcast Skiers Mindset Talk ist auf Spotify verfügbar. Mehr unter ninagigele.com.
